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Shogi befindet sich wieder auf dem aufsteigenden Ast

Von René Gralla

Die weltweite Promotion des Shogi soll intensiviert werden: Das hat Aono Teruichi, 9 Dan, anlässlich eines Interviews angekündigt, das der inzwischen 61-jährige Exekutivdirektor des japanischen Shogiverbandes dem Hamburger Journalisten René Gralla am Rande des German Shogi Festival im Oktober 2013 in Ludwigshafen gegeben hat.
Übersetzung der Fragen und Antworten: Professor Dr. Frank Rövekamp, Ludwigshafen


René Gralla: Sie sind nach Europa gekommen, um für Japans Denksport Nr. 1, das Shogi, zu werben. Kann man Ihren Besuch als Signal dafür werten, dass Japan eine neue Offensive plant, um Shogi international zu popularisieren?


(Foto: M. Iijima-Rövekamp)
Teruichi Aono: Das kann man sagen. Ich bin als Exekutivdirektor des japanischen Shogiverbandes in der Position, dass ich insofern neue Ideen einbringen kann. Und es ist mir ein besonderes Anliegen, die Internationalisierung des Shogi voranzutreiben.

René Gralla: Wie hoch ist eigentlich der Stellenwert des Shogi in der japanischen Kultur anzusetzen - vor dem Hintergrund, dass Shogi eigentlich doch nur ein Spiel ist?! Warum also ist es wichtig, dass sich auch der Rest der Welt für dieses japanische Spiel begeistert?

Teruichi Aono: Shogi hat viele Gesichter. Ja, Shogi ist auch ein Spiel, aber zugleich ist Shogi viel mehr als das. Shogi hat eine lange Geschichte, schließlich wird es seit 500 Jahren in Japan als Profisport betrieben. Zugleich ist Shogi tief verwurzelt in der japanischen Kultur und Ausdruck der kulturellen Vielfalt in Japan. Und über das Spiel hinaus ist Shogi ein Wettkampf, mit allem, was dazugehört, psychologisch und bezogen auf die Spieltechnik, um die Herausforderung im Shogiduell bestehen zu können. Das ist der Dreiklang des Shogi.

René Gralla: Wie populär ist Shogi im Japan von heute? Es gibt beunruhigende Meldungen, dass sich die sogenannte Shogi Population - das heißt, die Menschen, die regelmäßig Shogi spielen - in einem permanenten Schrumpfungsprozess befindet. Angeblich soll Shogi hauptsächlich nur noch von älteren Männern gespielt werden; immerhin sollen allerdings neuerdings wieder vermehr junge männliche Schüler ihr Interesse am Shogi entdecken. Dennoch: Ist Shogi in der Krise?

Teruichi Aono: Als vor 30 Jahren die ersten Electronic Games mit ihrer Software auf den Markt kamen, da ist tatsächlich eine Entwicklung eingetreten, in deren Gefolge die Shogi Population zurückgegangen ist. Diese Tendenz hat sich indes während der letzten 15 Jahren wieder umgekehrt. Aktuell befindet sich Shogi wieder ganz eindeutig auf dem aufsteigenden Ast.

René Gralla: Wie ist es Ihnen gelungen, den Trend zu stoppen, der vom Shogi weggeführt und hin zu den E-Games geführt hat?

Teruichi Aono: Viele Eltern haben einfach gemerkt, dass E-Games in Bezug darauf, das Interesse der Kinder langfristig zu fesseln, irgendwann an ihre Grenzen stoßen, egal, wie ausgefeilt deren Software sein mag. Shogi dagegen hat eine Dimension, die weit über ein bloßes Spiel hinausgeht. Das japanische Erziehungssystem ist so strukturiert, dass viel Wert gelegt wird auf das reine Abfragen von Wissen, nach dem Schema "Weißt du es? Weißt du es nicht?" - während Shogi dazu erzieht, Probleme analytisch zu lösen und in verschiedenen Lebenslagen, wo es keine eindeutigen Antworten auf bestimmte Problemstellungen gibt, die Bereiche des Gehirns zu trainieren, die in derart unklaren Situationen die Entwicklung adäquater Lösungen fördern. Das wird inzwischen mehr und mehr erkannt, und deswegen ist es zunehmend der Wunsch vieler Eltern, dass ihre Kinder bitte doch wieder Shogi lernen und spielen mögen. Zumal sich unter den Eltern die Erkenntnis immer mehr durchsetzt, dass Shogi gerade auch die Konzentration fördert. Außerdem schätzen die Eltern die positiven erzieherischen Effekte, die von der im Shogi gepflegten besonderen Etikette ausgehen.

René Gralla: Im Zuge der Fukushima-Katastrophe im März 2011 soll es für die Renaissance des Shogi einen Extraschub gegeben haben. Denn in den Flüchtlingslagern wurde wieder viel Shogi gespielt, weil Shogimeister dorthin gegangen sind, um den Menschen im Lageralltag ein wenig Ablenkung und Unterhaltung zu bieten. Und so haben die Leute auf einmal das alte japanische Spiel wiederentdeckt.

Teruichi Aono: Das ist richtig. Wobei einschränkend anzumerken ist, dass die Menschen unmittelbar nach der Katastrophe zunächst mit Fragen beschäftigt waren, die sich um das tägliche Überleben drehten. Aber nachdem die ersten unmittelbar drängenden Probleme gelöst waren, haben sich die Leute gefragt, was fange ich denn jetzt an während meiner Zeit im Lager, und in dieser Phase sind die Shogiprofis gekommen, und das war außerordentlich erfolgreich, die Menschen haben das sehr gut aufgenommen.

René Gralla: Dann hat das furchtbare Ereignis gleichzeitig auch positive Effekte generiert, wenigstens aus der Sicht des Shogi?!

Teruichi Aono: Ja. Zumal die Shogiprofis in den Lagern nicht nur Shogi unterrichtet haben, sondern es sind sogar einige wichtige Profiturniere in den betreffenden Zonen ausgetragen worden.

René Gralla: Parallel zu den Olympischen Sommerspielen 2020, deren Gastgeber Tokio sein wird, soll auch ein Mindsports Festival veranstaltet werden, und Shogi soll eine der Disziplinen sein.

Teruichi Aono: Das ist die Zielrichtung. Allerdings soll der japanische Shogiverband nach unseren Vorstellungen nicht alleiniger Träger der betreffenden Initiative sein. Auch alle anderen Gruppen innerhalb und außerhalb Japans, die an der Verbreitung des Shogi interessiert sind, werden hiermit aufgerufen, sich an dem Projekt zu beteiligen. Ich denke, was Japan betrifft, an die ISPS, die sich die Verbreitung des Shogi auf ihre Fahnen gescrieben hat. Ich denke aber auch an die europäische Shogifederation FESA: Es ist wichtig, dass die genannten Organisationen zusammenarbeiten und kooperieren, um Shogi auf der internationalen Ebene zu etablieren.


(Foto: T. Kawasaki)
René Gralla: Was halten Sie von jüngsten Versuchen, das Shogi in noch weiteren Kreisen zu verbreiten, indem das Spiel mit der Welt der Mangas verbunden wird? Während des German Shogi Festival hier in Ludwigshafen hat Tomohide Kawasaki, der unter seinem Kampfnamen "Hidetchi" mit seinen Shogi-Lehrvideos zu einem Star bei Youtube geworden ist, eine Reihe modernisierter Versionen des Shogi präsentiert: unter anderem eine Ausgabe des Shogi, die sich von Anime-Charakteren inspirieren lässt, sowie eine Version, die ein wenig an Bilder von russischen Matrjoschka-Puppen erinnert. Das soll Kinder der Pop-Generation auf Shogi neugierig machen. Darf man die Optik des Shogi auf diese Weise den Sehgewohnheiten der Gegenwart anpassen? Oder muss man um jeden Preis an der traditionellen Optik des Shogi festhalten?

Teruichi Aono: Die von Ihnen genannten neuen Versionen des Shogi mit verschiedenen Figurenkonzepten sind im Prinzip eine gute Sache. Und wenn es den Menschen hilft, auf diese Weise den Einstieg in das Shogi zu finden, ist das prima. Niemand soll sich abschrecken lassen von der traditionellen Version des Shogi, bei der die Steine bloß Schriftzeichen tragen; darum ist es in Ordnung, dass es da inzwischen auch andere Varianten gibt. Trotzdem sollte nach einem eventuellen Einstieg in das Shogi mit einer modernen Figurenversion am Ende die Entwicklung dazu führen, dass die Menschen später zum richtigen Shogi mit seinen Originalsteinen finden.

René Gralla: Sensei, Sie sind zu einem Besuch gekommen nach Ludwigshafen, das sich zum Zentrum des Shogisports in Deutschland, wenn nicht sogar in Europa entwickelt hat. Wie beurteilen Sie die Arbeit, die hier geleistet wird?

Teruichi Aono: Es ist eine ganz große Sache, dass es in Europa mittlerweile mehrere Shogizentren gibt und dass Ludwigshafen eines davon ist. Deswegen sollen zukünftig noch mehr japanische Profispieler hierher kommen und das unterstützen.


German Shogi Festival 2013 in Ludwigshafen (Foto: M. Iijima-Rövekamp)

René Gralla: Sensei, für Sie ist Shogi Ihr Leben. Als 15-jähriger sind Sie in die Shogischule eingetreten und Shogiprofi geworden. Was bedeutet Shogi Ihnen persönlich?

Teruichi Aono: Früher habe ich in den Top 10 gespielt. Inzwischen liegt mein Fokus darauf, dass ich mich verstärkt darum bemühen möchte, das Shogi weiter zu popularisieren, sei es in Japan selber oder im Ausland. Das empfinde ich heute als meine persönliche Verpflichtung: das Shogi zu lehren und immer mehr Menschen dafür zu begeistern.

René Gralla: Sie haben einmal schon den berühmten Schachspieler Viktor Kortschnoj getroffen - der vor Jahren nahe dran gewesen war, Weltmeister zu werden - und Sie haben ihm das Shogi beigebracht. Wie hat sich Kortschnoj dabei angestellt?

Teruichi Aono: Wir haben uns mehr über Shogi unterhalten, als dass wir Shogi real gespielt haben.

René Gralla: Inzwischen gibt es zunehmend Events - vor allem in Frankreich, aber auch in Japan - , bei denen Schachspieler gemeinsam mit Shogiprofis Wettkämpfe in beiden Disziplinen austragen, im Shogi und im Schach. Sind diese Mixed Events auch ein Ansatz, um Shogi international zu promoten?

Teruichi Aono: Derartige Kooperationen sind eine gute Sache. Zumal es viele Berührungspunkte zwischen Schach und Shogi gibt - denken Sie nur an Großmeister Yoshiharu Habu, 9 Dan, der zugleich ein sehr starker Schachspieler ist. Schließlich hat er aus dem Stand bei einem Turnier die Norm für einen Internationalen Meister im Schach erfüllt.