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Man lernt nie aus - gerade auch am Brett des Shogi

Von René Gralla

(in gekürzter Form ist der Artikel erschienen in der Tageszeitung "neues deutschland":
www.neues-deutschland.de/artikel/919758.japanschach-im-selbstversuch.html
)

Auf manches Kompliment könntest du gerne verzichten. "Gut gespielt", sagt mein Gegner, nachdem ich gerade aufgegeben habe, und der muss es schließlich wissen, Roman Drukker aus Karlsruhe ist schon bei deutschen Meisterschaften angetreten, in der Altersklasse U-14. Und ein generöses Schulterklopfen von einem naseweisen Youngster ist jetzt das Letzte, was ich ertragen kann.
"Nein", antworte ich pampig, "überhaupt nicht gut gespielt", und verlasse eilig den Ort der Schmach. Bloß raus an die frische Luft, ich trete vor die Tür des Ostasieninstituts, in dem das Turnier ausgetragen wird, und schaue auf den Rhein, der provokant gemächlich an mir vorbeizieht, und ich frage mich, warum ich eigentlich vor sechs Stunden in Hamburg losgefahren bin, um mir das heute hier in Ludwigshafen anzutun.
Ja klar, das war der Ehrgeiz gewesen, und dazu wohl noch eine Extraladung Größenwahn. Irgendwann war ich beim Surfen im Internet auf "Shogi" gestoßen, eine japanische Variante des Schachspiels, die sich seit rund 1200 Jahren im fernöstlichen Kaiserreich parallel zur Mainstream-Version des Kampfes um das Matt der Könige entwickelt hat. Und deswegen einige Besonderheiten aufweist, die Shogi von der klassischen Ausgabe, die sich in handelsüblichen Spielesammlungen findet, deutlich unterscheidet.

Gipfel des Tennozan (Foto:ja.wikipedia.org)
Das fängt mit Brett und Figuren an, 81 statt 64 Felder und 40 statt 32 Steine. Außerdem ist der Spielplan nicht schwarz-weiß changierend koloriert, sondern einheitlich hell eingefärbt, desgleichen übrigens auch die verschiedenen Einheiten, die am Set eingesetzt werden. Das sind fünfeckige Holzplättchen, deren leicht hingetuschte Kanji-Zeichen eine Reihe von Figuren symbolisieren, die teils hierzulande bekannten Gegenstücken entsprechen (Turm und Läufer), teils jedoch auch spezielle Kreationen Marke Nippon sind (Gold- und Silber-General plus Lanze).
Das Konzept einer Dame, die für kreative Unruhe im internationalen Standardschach sorgt, ist im Shogi unbekannt. Alternativ haben die Japaner eine eigene Lösung gefunden, um ihr strategisches Spiel zu beschleunigen: Kann ich dem Gegner eine Figur abjagen, darf ich die auf meiner Seite zur Verstärkung der eigenen Truppen einsetzen. So dass die frischen Reserven im Stil der einst berüchtigten Ninjas überraschend an allen Ecken des Brettes zuschlagen können.
Ein spannendes Szenario, das mich sofort begeistert hat, als ich zum ersten Mal vom Shogi hörte. Zumal Japans Schach gleichzeitig auch ein Schlüssel ist, der die Tür zu einer geheimnisvollen Welt öffnet. Ein zentrales Feld auf dem Spielplan - nämlich der Quadrant 5e, sobald er von einem Vorposten-Soldaten besetzt worden ist - wird "Berg Tennozan" genannt, und zwar nach jenem Ort, wo 1582 die Entscheidungsschlacht von Yamazaki während Japans blutiger Bürgerkriegsepoche getobt hat.


Kriegsrat vor der Schlacht von Yamazaki (Quelle:en.wikipedia.org)

Seit genau 502 Jahren gibt es vom Staat geförderte Profispieler, weil der Shogun Tokugawa Ieyasu (1543 - 1616) das Shogi-Training für die perfekte Schulung künftiger Führungsoffiziere hielt. Zum Kouun Ritsuin-Tempel in Nikko gehört ein Schrein, an dem Shogi-Steine gespendet werden von Frauen, die gesunde und glückliche Kinder erbitten wollen.

Eine weltweit einmalige Verbindung von Spiel, gesellschaftlichen Traditionen und Spiritualität. Und trotz des Siegeszugs elektronischer Games, die typisch sind für Japans Freizeitszene im dritten Jahrtausend, bleibt die Popularität des Shogi ungebrochen. Zur Kirschblütenzeit pilgern die Fans nach Tendo nördlich von Tokio, weil Akteure in Samurai-Rüstungen dort Partien im Großmaßstab live und kombiniert mit Martial Arts-Einlagen in einem Stadion ausfechten.


Ningen Shogi alljährlich zur Kirschblütenzeit in Tendo in der Präfektur Yamagata.(Foto:ja.wikipedia.org)


Das Nippon-Schach ist Leitmotiv populärer Comics. Auf der Basis des Mangas "81diver" von Yokusaru Shibata ist sogar eine TV-Reihe produziert und ausgestrahlt worden, und für die Hauptdarstellerin Riisa Naka war das der Startschuss ihrer Karriere.

Der 17. November ist der offizielle "Tag des Shogi", und Spitzenprofis reisen als Kulturbotschafter rund um den Planeten. Einer von ihnen ist der 60-jährige Teruichi Aono. Früher mischte der Mann aus Yaizu in der Präfektur Shizuoka die Liga der Top Ten auf, inzwischen ist er gar zum Exekutivdirektor des japanischen Shogiverbandes aufgestiegen. Entsprechend ist sein Besuch in Ludwigshafen für die lokale Shogi-Szene Anlass genug, zu Ehren des hochrangigen Gastes ein Turnier zu organisieren. Das auch mich, den Autodidakten und offenkundigen Shogi-Dilettanten (siehe die eingangs beschriebene Klatsche zur Einstimmung), aus dem Norden der Republik runter in die Kurpfalz gelockt hat.
Denn der Kreis der Aktiven, die das Japanschach pflegen, ist im Gegensatz zum Mutterland zwischen Flensburg, Frankfurt/Oder und Konstanz äußerst überschaubar. Immerhin hat sich in Ludwigshafen - quasi in Sichtweite von Oggersheim, das seit dem ewigen Kanzler Helmut Kohl einen Ruf wie Donnerhall hat - ein nationales Exzellenz-Zentrum für Shogi etabliert, und das dank der Initiative zweier Idealisten: Oliver Orschiedt, 47, Chef eines Sanitätshauses, und Professor Frank Rövekamp, 50, der Leiter des örtlichen Ostasieninstuts (OAI). Beide sind Aficionados, und der drahtige Wissenschaftler Rövekamp trägt sogar den 3. Dan (Shogi orientiert sich an einem aus dem Judo bekannten Ranking-System). "Die Dynamik des Shogi ist einfach toll!" schwärmt der OAI-Direktor. "Denn das Wiedereinsetzen der Figuren macht das Spiel sehr scharf."
Und nun das Schaulaufen für Meister Teruichi Aono. 53 Kandidaten wollen sich vor den kritischen Augen des Sensei messen, und einige haben weite Wege nicht gescheut. Unter ihnen der 48-jährige Norweger Terje Christoffersen und der 43-jährige Franzose Fabien Osmont ("Ich möchte vom Meister lernen"), die, obwohl sie in den Abschlusstabellen internationaler Wettkämpfe regelmäßig vorne landen, sich in Ludwigshafen ein paar Extratipps von Teruichi Aono erhoffen.
Der Meister zeigt sich in seiner Begrüßungsansprache bewegt vom großen Andrang der Shogijünger und kündigt einen Workshop an. Der dann allerdings für mich eindeutig zu spät terminiert ist, in einem Zeitfenster, wenn die wichtigsten Partien bereits rettungslos gelaufen sein werden.
Und so kommt es, wie es kommen muss. Klar, zunächst reiße ich mich zusammen, den Schock der Auftaktniederlage noch in den Knochen (Jungspund Roman Drukker hatte mich mit einem Mix aus Haya ISHIDA und "Demon Killer" überrannt, wie ich aber leider erst hinterher erfuhr von Shogi-Lehrbuchautor Dennis Schneider, 28), und behalte die Nase vorn in zwei Folgematches (wobei mir die zukünftigen Hoffnungsträger den Job leicht machen: Dominik Schimpf, 14, opfert spekulativ und vielleicht auch bloß unachtsam gleich in der Eröffnung seinen Läufer gegen einen schlichten Samurai, und Maxim Kromberg, 10, möchte mich auf den Spuren von Buddy Roman Drukker ebenfalls mit dem "Demon Killer" austricksen, aber dank Dennis Schneiders zwischenzeitigem Briefing bin ich nun gewarnt und entlarve den vorwitzigen Dämon als Phantom). Und in der vierten Runde habe ich gegen Martin Köbsel, 52, reichlich Dusel im Byoyomi (obwohl ich eine aussichtsreiche Position nach Zentraldurchbruch fast schon wieder verdaddelt habe, setze ich den rockigen Zopfträge in letzter Sekunde matt, bevor er mich ausknockt).
Brutal indes stutzt die letzte Runde meinen Übermut, der sich zu regen begonnen hat, zurück auf's Normalmaß. Während ich erneut die Mitte ins Visier nehme und dort sogar Fortschritte mache, überrascht mich Physiker Wilfried Rösch, 56, mit einem Gegenstoß ins nur unzureichend verteidigte Hinterland. Panisch greife ich nach einem Goldgeneral, der die Lage klären soll, setze ihn aber auf ein Feld, das der Offizier nach den Regeln überhaupt nicht erreichen kann, streng reklamiert mein Kontrahent, und der Punkt ist futsch.

Patzer bleibt Patzer. Vielleicht hätte ich, anstatt mich vorschnell auf das glatte Wettkampfparkett zu wagen, zunächst einmal fleißig üben sollen, am besten mit einem der Anfängersets, die neuerdings auch im Gaijin-freundlichen Design produziert werden und die, seien es Spielsätze im Samurai- oder Matrjoschka-Look, im Flur des Ostasieninstituts vom Youtube-Shogi-Star Tomohide "Hidetchi" Kawaski präsentiert werden. "Ich bin stolz darauf, dass mit Shogi so ein tolles Spiel aus Japan kommt", sagt der 34-jährige, "deswegen wünsche ich mir, dass noch mehr Menschen Shogi spielen."

Trotzdem findet der Träger des 3. Dan (wohnt und arbeitet aktuell in Köln) noch die notwendige Energie, gleichzeitig zu jeder Runde des Turniers anzutreten und von Anfang bis Ende ganz vorne mitzumischen. Allerdings muss Tomohide "Hidetchi" Kawaski am Ende dann doch wohl der Doppelbelastung - Punkte sammeln und Shogi-Promotion - den unvermeidlichen Tribut zollen und mit einem ehrenhaften zweiten Platz seinem jungen Landsmann Yuhi Nishida, der noch nicht einmal einen Dan-Grad erworben hat, knapp den Vortritt lassen.


Vorentscheidung in der 4. Runde: Der spätere Turniersieger Yuhi Nishida (li.) besiegt Youtube-"Hidetchi"
Tomohide Kawasaki, 3 Dan (re.). (Foto: Peter Fischer)


Das freilich sind Dimensionen, deren Nähe ich nicht einmal erahnen kann. Und natürlich ist das Ergebnis vorhersehbar, als ich mich in einer Lehrpartie zum Abschluss von Meister Teruichi Aono persönlich unterweisen lassen darf.


Teruichi Aono-Sensei, 9 Dan und Shogi-Autor und -Dilettant Rene Gralla, 14 Kyu.( Foto: Peter Fischer)

Schulmäßig bringe ich meine Einheiten in Stellung, am Horizont flimmert eine Fata Morgana, indes der Sensei lächelt fein, und fein platziert er seine Steine. Bis ich, welch Überraschung, kapitulieren muss. Und mir ein letztes Mal diese formvollendete Höflichkeit anhören darf: "Gut gespielt!"
Wie hat vorhin noch der Norweger Christoffersen seine Erwartungen an den Shogi-Tag in Ludwigshafen auf den Punkt gebracht?
"Learning never ends in Shogi!"

Die nächste Gelegenheit dazu besteht in Kürze bei der Offenen Deutschen Meisterschaft am 22. und 23. Februar 2014.
Und wieder in Ludwigshafen.